•  
  •  

Faire Milchpreise​​​​​​​

Der Wecker reisst mich aus dem Schlaf. Heute Samstag darf ich wieder einmal Kühe melken. Es ist früh, zu früh für einen Milchpreis von 50-60 Rp. pro Liter, denke ich. Draussen ist es noch finster, auch beim Nachbarn im schönen Einfamilienhaus brennt noch kein Licht. Ausschlafen ist dort sicher angesagt, murmle ich auf den Weg zur Kuhweide vor mich hin. Beim Eintreiben der Kühe mache ich leise, erst neulich hat sich der Nachbarn über das Glockengeläut beschwert, obwohl nur eine Kuh eine kleines Glöckchen trägt. Dabei tönt dies doch wie Musik in den Ohren. 

Die Melkmaschine surrt, langsam rinnt die Milch in den Schlauch. Auf den Melkstuhl sitzend geht mir diesen Morgen vieles durch den Kopf. Warum sind eigentlich die Konsumente und die Verbraucher nicht bereit, für 1 L Milch mehr zu bezahlen? Warum lassen sie und Milchbauern einfach so im Stich? Sind sie wirklich der Meinung, dass eine Bauernfamilie mit diesem Milchpreis, der unter aller Sau ist, überleben kann? Und dann noch obendrauf das Gesülze von unseren Verbäden und Organisationen. Ich kann es nicht mehr hören. Ihre Ratschläge, Erklärungen und Richtpreisforderungen sind nicht mehr Wert als ein weisses Papier.  Bei dieser Misere und Zukunftsaussichten erstaunt es mich nicht, dass immer mehr Bauern nicht mehr können und freiwillig aus dem Leben treten.

Warum melke ich eigentlich noch Kühe? Wäre es nicht gescheiter, damit aufzuhören? Nein, ich liebe meine Tiere über alles. Kühe sind meine Leidenschaft, sie geben mir viel, ohne die Vierbeiner könnte ich nicht leben. Siss, Grittli, Babette oder Martha, wie sie alle heissen. Sie sind meine Passion, darum melke ich sie weiter, auch für 50 Rp. und wenn es sein muss auch für weniger.

Beim Putzen des Euters vom Grittli mache ich eine böse Überraschung: Grittli hat den Viertel. Auch das noch, denke ich beim Herausziehen der Milch. Spätestens beim Fiebermessen habe ich keine Wahl, der Tierarzt muss her. Aber eigentlich sollte man ja keine Antibiotika mehr verabreichen. Die Bauern sind ja auch hier schuld, dass alle Keime resistent geworden sind. Mit einer Initiative will das Volk uns den Einsatz auch noch verbieten. Die meinen wirklich wir geen den Tiere Antibiotika nur so aus Freude.

Nein, liebe Konsumententinnen und Konsumenten, so ist es nicht. Wir setzen die Medikamente nur ein, wenn es unseren Tieren schlecht geht und sie diese auch wirklich brauchen. Und wir rufen auch nicht gleich den Tierarzt, wenn die Kuh dünn "scheisst". Unsere verwöhnte Gesellschaft rennt da viel eher in einer Praxis, sei es bei einem körperlichen oder seelischen Leiden.

Viele haben wirklich keine Ahnung mehr von der Landwirtschaft, murmle ich vor mich hin, und die nächste Generation wird sie noch viel weniger haben, das macht mir Angst. Aber uns belehren, wie man bauern soll, das können sie. Aber heute soll Grittli ihre Antibiotika-Dosis bekommen, schliesslich schaue ich zu meinen Tieren und kann sie nicht leiden sehen. Aber es gibt auch freudige Ergebnisse im Stall. So hat gestern Abend die Kuh Martha ein schönes Kuhkalb geboren. So eine Geburt berührt mich immer noch sehr, erst recht, wenn alles gut gegangen ist.

Warum muss der Landwirt für jede Kleinigkeit zunehmend als Sündebock herhalten? Wir werden nur noch als Umweltsünder, Tierquäler und Subventionsempfänger betitelt. Dass, was wir tagtäglich für die Allgemeinheit leisten, interessiert niemandem und wird nicht beachtet. Manchmal kommt es mir vor, dass man hier in der Schweiz eine "Heidi-Landwirtschaft" bevorzugt. Fehlen Nahrungsmittel, kein Problem, das Ausland liefert gerne und erst noch billiger.

Um 7:00 Uhr, beim Waschen der Melkmaschine sehe ich, dass es beim Nachbarn auch Licht gegebenhat. Was er wohl um diese Zeit schon vor hat? Denn normalerweise sieht man am Samstag vor 9:00 Uhr von der ganzen Familie nichts. Ich hoffe, dass ihn Sissi nicht geweckt hat. Denn Sissi ist stierig und brüllt seit 6:00 Uhr ununterbrochen. Jetzt noch schnell den Hausplatz wischen und dann ist Morgenessen angesagt. Oh, jetzt kommt der Nachbar mit seinem Mercedes angefahren, hält an, grüsst freundlich und sagt: "Wir gehen schnell nach Deutschland einkaufen. Dort sind die Lebensmittel halt noch billiger und erst noch besser als bei uns." Ich hoffe, mir kommt im Laufe des Vormittags nicht das Morgenessen hoch.
Seit einigen Jahren werden in den Ländern Europas Organisationen gegründet, die das Ziel haben, Milchproduzenten einen fairen Preis für ihre Produkte zu bezahlen. Die Verpackungen sind europaweit durch dasselbe Design gekennzeichnet, länderspezifisch ist allerdings die rote Kuh mit der jeweiligen Landesfahne. In der Schweiz gründeten 2018 vierzehn Westschweizer Produzenten die Genossenschaft "Faireswiss" und es werden immer mehr Produzenten.
Engagiert für faire Milchpreise https://www.faireswiss.ch/de/faire-milch